Caput postremum, de hodierno Musicae Systemate.

Quinta falsa - Tritonus

Diese Art der Silbenbelegung einer tritonischen Intervall-Konstellation lässt sich anhand der Solmisatio Hammerianae bzw. der heutigen Tonika-Do-Methode nicht einmal andenken. Tauscht man hingegen si gegen mi aus, verliert wiederum der Bach’sche Denkspruch seine Gültigkeit. Er sagt aus guten Gründen nicht Si Fa, wenn Mi Fa gemeint ist, »da seine gesamte Musik noch auf dem Denken in Dreiklängen und Hexachorden basiert«, wie Gerd Zacher 1993 in seiner Publikation: »Bach gegen seine Interpreten verteidigt« einleuchtend darlegt. [4]Zacher, Gerd: Bach gegen seine Interpreten verteidigt. Hrsg. von Heinz-Klaus Metzger und Rainer Riehn. edition text + kritik, Heft 79/80 der Reihe MUSIK-KONZEPTE München 1993, S. 55

Die Reihe der Komponisten, welche sich eingehend mit der Lehre Fuxens auseinandergesetzt und sie auch (zum Teil) in ihrem Theorieunterricht verwendet haben ist groß: Bach – der nach Angabe von Philipp Spitta, 1742 die erste deutsche Übersetzung seines Schüler Lorenz Christoph Mitzler beaufsichtigte – seine Söhne bzw. Schüler, Telemann, Padre Martini, Leopold und Wolfgang A. Mozart, Gluck, Haydn, Beethoven, Hummel, Albrechtsberger, Moscheles, Schubert, Meyerbeer, Cherubini, Auber, Rossini, Paganini, Berlioz, Chopin, Schumann, Brahms, Liszt, Bruckner, R. Strauss, Hindemith, Henze u. a. [5]Mann, Alfred: The Study of Counterpoint from Johann Joseph Fux’s Gradus ad Parnassum. W. W. Norton & Company, New York, London 1971. S. xi–xv

Mozart schreibt 1790 in einem Bittgesuch an den Nachfolger Josephs II., Kaiser Leopold II:

»[…] heissen mich (an) es (zu) wagen um eine zweyte kapellmeisterstelle zu bitten, besonders da der sehr geschickte kapellm Salieri sich nie dem kirchen Styl gewidmet (hat), ich aber vonn (!) Jugend auf mir diesen Styl ganz eigen gemacht habe.« Mozart kann sich demnach im Kirchenstil auf »ausgebildete känntnisse« berufen. [6]Braunbehrens, Volkmar: Mozart in Wien. Piper Verlag GmbH, München 2006, S. 369

Dass er den Gradus ad Parnassum im Kompositionsunterricht heranzieht, belegen die Ployer-, Attwood- und Freystädtler-Studien. Das Fux’sche Lehrbuch wiederum wird als Essenz des Palestrina-Stils angesehen (Modus- und Hexachordlehre mitinbegriffen).

Damit taucht in diesem Zusammenhang zum ersten Mal der Begriff »Kirchenstil« (Stylus ecclesiasticus) auf. Er ist assoziativ u. a. auch mit dem Begriff der Moduslehre verbunden (»Cantus ecclesiastici octo« – die acht Kirchentöne). Die Moduslehre wiederum setzt ab dem 13. bzw. 14. Jh. das Guidonischen Hexachordsystem als zentrale Ordnungsinstanz ein, so z. B. bei Jacobus von Lüttich (1260–1330) in seinem Traktat: »Speculum Musicae« [7]Berger, Christian: Hexachord, Mensur und Textstruktur. In: Beihefte zum Archiv für Musikwissenschaft. Hrsg. von Hans Heinrich Eggebrecht, Band XXXV. Franz Steiner Verlag, Stuttgart 1992, S. 105–106 oder bei Marchettus von Padua (14. Jh.) in dessen »Lucidarium in arte musicae mensuratae«, 1317. [8]Berger, Christian: Hexachord, Mensur und Textstruktur. In: Beihefte zum Archiv für Musikwissenschaft. Hrsg. von Hans Heinrich Eggebrecht, Band XXXV Franz Steiner Verlag, Stuttgart 1992, S. 105–106

Der Verwirrung noch nicht genug, kann die Folge mi fa, wie im Falle der rhetorischen Figur der exclamatio, auch eine kleine steigende Sexte darstellen, »welche lange Zeit deswegen als dissonanter Sprung gewertet wurde, weil ein Systemsprung in ein anderes [Hexachord-] Klangfeld notwendig war«. [9]Zacher, Gerd: Bach gegen seine Interpreten verteidigt. Hrsg. von Heinz-Klaus Metzger und Rainer Riehn, edition text + kritik, Heft 79/80 der Reihe MUSIK- KONZEPTE München 1993, S. 18–19