Drei Jahre später zum Beispiel (1725) erscheint der Gradus ad Parnassum. Dort spricht Fux vom »heutigen System« (Siehe S. 4). Im Kapitel »Exercitii V. Lectio VII. de Modis.« – ein Abschnitt, der leider in den heute erhältlichen »modernen« Ausgaben oft fehlt, was ein Nachteil ist, trägt er doch entscheidend zum besseren Verständnis des zuvor Erläuterten bei – erklärt Fux eingehend die alte Moduslehre noch mit Hilfe der streng konservativen Hexachordlehre, das heißt: eine Silbe si sucht man dort vergebens.

Die Zahl 24 galt in dieser Zeit auch als Symbol für die 2 × 12 Dur- bzw. Molltonarten der »modernen Tonartenordnung«, welche z. B. vom erzkonservativen Buttstett, der übrigens ein angeheiratetes Mitglied der Bachfamilie war, [29] Buttstett, Johann Heinrich: »Er (Buttstett) entstammte einer in und um Erfurt ansässigen Familie von Pfarrern, Lehrern und Musikern, die über die Familie Lämmerhirt mit den Bachen (J. S. Bachs Mutter war eine geborene Lämmerhirt aus Erfurt) […]verwandt war. MGG II S. 533 glattweg ablehnt wird, weil er darin eine »Verarmung« bzw. eine »Reduzierung« der Mannigfaltigkeit von 12 unterschiedlich klingenden – modalen Tongeschlechtern auf bloß 2 Grundspezies (Dur und Moll) erblickte und somit den Niedergang der abendländischen Tonartenphilosophie mit ihrer traditionellen Rückbindung an das griechisch-antike Systema teleion befürchtete.

In diesem Zusammenhang dürfen die Termini »Dur- bzw. Moll-Dreiklänge« und »moderne Ordnung der 2 × 12 Dur- bzw. Molltonarten« nicht verwechselt werden. Dreiklänge sind für Buttstett auch innerhalb der Modus- und Hexachordlehre eine Selbstverständlichkeit (siehe dazu noch einmal das Frontispiz auf Seite 7). Er wehrt sich nur gegen eine moderne Ordnung.

In dieser Hinsicht folgt Bach seinem »Oheim« nicht nach, sondern entscheidet sich für die moderne Ordnung.

Damit verhält er sich konservativ und modern zugleich, das heißt: Ja zur traditionellen Modus- und Hexachordlehre (siehe dazu Kirnbergers Zitat S. 30) und gleichzeitig Ja zur modernen Tonartenordnung! Die dabei offen zu Tage tretende Diskrepanz könnte Bach möglicherweise durch eine »diskrete Einbindung« des Alten ins Neue gelöst haben und wählt damit im Streit zwischen Buttstett und Matttheson den Aristotelischen Mittelweg.

Dazu Siegbert Rampe, 2002 [30]Rampe, Siegbert: Das Wohltemperierte Klavier I. Tradition Entstehung Funktion Analyse. Musikwissenschaftliche Schriften. Band 38. Hrsg. von Siegbert Rampe, Musikverlag Katzbichler, München – Salzburg 2002 S. 78:
»[…] so modern dieses Verfahren auf den ersten Blick erscheint, ist es tatsächlich nichts anderes als eine Übertragung der Hexachord-Theorie auf die Skala«. (Anm.: gemeint ist die moderne Durtonleiter, siehe in diesem Zusammenhang die Skizze auf S. 21)

Das Wohltemperirte Clavier

(Übrigens: 2 × 12 = 24 … auch: Buchstaben)